Mundus vult decipi

Immer wieder sind im Netz Werbungen zu finden die so klingen wie „Bei uns lernt Ihr fechten wie die alten Meister!“
Da werden Hierarchien gebildet, Titel und Diploma verliehen und viele gewichtige Texte verfasst. Mit Verlaub: Lassen wir mal die Kirche im Dorf. Es handelt sich hier nicht um spätmittelalterliche Fechtschulen mit eigener Technik und Tradition, die sich in immer wiederkehrenden Wettkämpfen messen, um die Besten zu küren. Es sind nur ein paar Nasen, die zehn Jahre früher da waren als die anderen und nun glauben, dem Rest die Welt erklären zu dürfen. Darunter gibt es etliche brillante Fechter, aber eben auch Großmäuler und Dilettanten. Aber wohl kaum einer von ihnen hat sich den Titel „Meister“ verdient – denn wer von ihnen mußte sein Können und seinen Stil bei Kämpfen auf Leben und Tod unter Beweis stellen wie ihre spätmittelalterlichen Vorbilder, auf die sie sich so gerne berufen? Und damit hat sich die Sache.

Tatsächlich gibt es keine klaren Richtlinien, kein Patentrezept und keine allgemein anerkannte Kontrollinstanz. Wie sollte das auch gehen?
Im Gegensatz zu vielen asiatischen Kampfkünsten, die oft seit vielen hundert Jahren ohne Unterbrechung gelehrt werden, ist das originale Wissen um die europäischen Kampfkünste komplett verlorengegangen. Die pragmatischen Europäer kamen sehr schnell zu dem Schluss, das fünf mässig begabte Strauchdiebe mit langen Bratspießen jeden Schwertmeister mit jahrelanger Erfahrung mühelos den Garaus machen – und dass ein mit einer Armbrust oder Schusswaffe bestückter Simpel jeden Elitekämpfer mit der Krümmung eines Fingers aus der Ferne erledigen kann.
Was blieb, sind Bilderbücher und Gedichtbändlein, die die damaligen Schwertmeister ihren Schülern als Merkhilfe mit auf den Weg gaben. Tausende interessierte Fechter beißen sich seitdem mit wechselndem Erfolg die Zähne daran aus, die Dinger zu deuten und die dort beschriebenen Bewegungsabläufe zu rekonstruieren. Dabei stehen ihnen viele Missinterpretationen oder schlichter Unfug aus dem 18. und 19. Jahrhundert genauso im Weg wie hartnäckige Klischees aus Hollywoodfilmen und Fantasy-Romanen.
Was man heute aber verbindlich feststellen kann ist, dass sich die europäischen Kampfkünste in ihrer Raffinesse, Eleganz und tödlicher Eloquenz nicht im Geringsten von den asiatischen unterscheiden. Viele begnadete Fechter (die samt und sonders von anderen Kampfkünsten konvertiert sind) haben mittlerweile aus den alten Fechtbüchern Bewegungen abgeleitet, über deren Details man sicherlich ein Haar in fünf Teile spalten kann, die aber selbst in dieser „unfertigen“ Form zu erstaunlichen und absolut überzeugenden Ergebnissen führen. Die Rekonstruktion und das Trainieren dieser alten Techniken als Kampfsport nennt man HEMA – ein Akronym für „Historical European martial arts“.

Es gibt viele Menschen, die ausschließlich nach einer bestimmten Fechtschule trainieren. Das halten wir aufgrund der angesprochenen Quellenlage für nicht sehr sinnvoll, zumal damalige Fechtschüler sich von so vielen Meistern wie nur möglich ausbilden ließen. Auch birgt ein stark ritualisiertes Fechten die Gefahr allzuleichter Vorhersehbarkeit.
Bei den Jacamart beschäftigen wir uns mit verschiedenen Fechtbüchern und Büchern über Fechtbücher. Stark beeinflußt haben uns für die frühe Zeit das Tower Fechtbuch 1.33, für das lange Schwert die Techniken Liechtenauers und Thalhoffers, Fiori Dei Libra, Ringeck und Peter von Danzig. Für die spätere Zeit sind besonders Sutor, Meyer, Marozzo, Saviolo und Silver für uns von großer Bedeutung. Und in all diesen Werken heißt es, dass man erlernte Techniken im Kampf ausprobieren und üben sollte. Daher trainieren wir sehr Sparring-orientiert.
Keiner hier beansprucht, ein umfassendes Wissen oder gar Können bezüglich auch nur eines dieser Fechtmeister zu besitzen. Schließlich ist in deren Werken die Kampfkunst von Generationen zusammengetragen. Wie sollten Gelegenheitsfechter wie wir das Können von Männern erreichen, die tagtäglich Stunde um Stunde mit Kampfübungen verbrachten? Männern, deren Leben im Zweifelsfall davon abhing? Tatsächlich ist diesen Meistern gegenüber eine gesunde Familienportion Demut angebracht. Jeder Tag, an dem man sich mit diesem faszinierenden Thema beschäftigt, führt näher an die Erkenntnis heran, wie wenig man eigentlich darüber weiß. Dafür wird es aber auch nie langweilig.

Mit den Jahren haben wir uns angewöhnt, in drei verschiedenen Mensuren und auch „Härtegraden“ zu fechten, die sich für uns als sinnvoll erwiesen haben:

Will man sich Grundzüge verschiedener Techniken aneignen, wie Beinarbeit, das Führen der jeweiligen Klinge, das Spüren, ab welchem Punkt die Hebel und Schwerpunkte sich verlagern und das Ableiten, Parieren oder Blocken von Angriffen, ist es oft sinnvoll, in einer Distanz zum Fechtpartner zu stehen, in der man sich noch nicht wirklich verletzen kann, also einem Abstand von ca. zwei Metern. Bei Anfängern braucht es hier noch nicht einmal ein Schwert aus Stahl. Allerdings sind gepolsterte Handschuhe eine wirklich gute Idee. Die Bewegungen werden hier vergleichsweise langsam eingeübt.
So kann man das Fechten als Ausgleichssport ausüben und erste Erfahrungen sammeln. Man kann sehen, wo Deckungen offen sind, Blößen entstehen, die Klinge des Partners nicht ausreichend abgewehrt wird. Naturgemäß wird es ab einem bestimmten Punkt schwierig, zu beurteilen, ob ein Angriff lediglich durch die Deckung gedrungen ist oder ob es sich um einen maßgeblichen Treffer handelt.

Verkürzt man die Distanz um nur fünfzig Zentimeter, ergibt sich eine Mensur, die geeignet ist, entscheidende Treffer zu setzen. Hier empfiehlt sich ein erweiterter Schutz wie Gambeson und Fechtmaske, bzw. Helm. Auch wenn wir uns auf leichten Kontakt geeinigt haben, bleiben hier Blessuren nicht aus. Treffer auf den Kopf werden hier nur angedeutet, ebenso Treffer auf die Gelenke. Bei dieser Spielart ist es möglich, mit mehr Härte und Geschwindigkeit zu fechten und verschiedene Distanzen auszuprobieren. Fortgeschrittenen ist es hier auch möglich, in den Nahkampf überzugehen.

Die variabelste Mensur und größte Härte legen wir in eine Art des Fechtens, die wir nicht ganz ernstgemeint als „Codex Jacamart“ bezeichnen und die in den Regeln dem „Huskarl“ sehr ähnlich ist. Gefochten wird noch immer mit leichtem Kontakt, allerdings in Echtzeit. Erlaubt ist alles – bis auf Stiche mit dem Langen Schwert ins Gesicht und zwischen die Beine. Das macht natürlich weiteren Schutz erforderlich:
Platten-, Hockey-, oder gepolsterte Kettenhandschuhe, Knie- und Ellenbogenschützer oder -Kacheln, Genitalschutz (falls doch einmal ein Schlag abrutscht). Diese Spielart ist allerdings nur Fortgeschrittenen zu empfehlen, weil die Verletzungsgefahr trotz allen Guten Willens und aller Vorsichtsmaßnahmen hier am größten ist.
Obwohl es im Blossfechten, dem Kampf ohne Rüstung, geübt wurde, gezielte Schläge auf die Hände zu setzen, vermeiden wir diese Technik, soweit es geht. Wir versuchen eher, die Unterarme und Armbeugen anzupeilen. Trotz gepanzerter Handschuhe kann es sonst im ungünstigsten Fall zu wirklich garstigen Verletzungen an den Händen kommen – die meisten von uns benötigen ihre Hände noch…

Zu den Waffen:

Zum Training nehmen wir alles, was die Zauberwelt des Internet für uns bereit hält:
Übungsschwerter aus Holz, Nylon oder Polypropylen, Schaukampfschwerter zu einer, anderthalb und zwei Händen, Buckler, Schild, Dolch, Sax, Messer, Axt, Stab, Speer…

Paul Binns-artige Schwert-Emulatoren (dicke Kanten und riesiger Hohlschliff) verwenden wir eher nicht; sie sind zum einen wahrlich keine Schönheiten, zum anderen will sich das richtige Gefühl für Gewicht und Steifigkeit der Klinge nicht so richtig einstellen. Ähnlich kritisch sehen wir auch die Verwendung von Fechtfedern. Viele denken, weil diese Dinger so leicht und flexibel sind, wären sie besonders sicher – und dreschen dann damit zu wie nichts Gutes. Wenn zudem etwas das Gewicht eines Rapiers hat, ist es nicht ganz einzusehen, warum man damit fechten soll wie mit einem Anderthalbhänder. Auf diese Weise wird unserer Meinung nicht das richtige Klingengefühl und die nötige Kraft zur Klingenkontrolle trainiert.

Ein letztes Wort zu sogenannten „Wastern“ – das sind Übungswaffen aus Holz, Kunststoff Aluminium oder auch Stahl, die beliebig zerdroschen werden können: Wir haben keine. Klingenschonendes Fechten war und ist zu jeder Zeit (über)lebenswichtig! Wenn einem Kämpfer früher bei Gefecht auf Leben und Tod die Waffe zerbrochen ist, gingen seine Überlebenschancen rasant in den Keller. Noch heute kommt es bei Sportfechtern zu üblen Unfällen, wenn die Opponenten so heftig ineinander springen, dass ihre Waffen brechen und sich dann die scharfen Enden der abgebrochenen Waffen in diverse Körperteile bohren. Ist es also sinnvoll, so zu fechten, als hätte man noch ein paar Ersatzwaffen und Leben im Kofferraum? Wir haben in über fünfzehn Jahren Sparring noch keine einzige Waffe zerbrochen.
Da mögen die ganz harten Hunde auflachen und ihre Zähnchen weiter im Einmachglas mit sich herumtragen, aber wir finden es eigentlich ganz schön so.